Die Vierländersynode im Königreich Polen-Litauen
Der 1723 geborene jüdische Kaufmann Beer Bolechover erinnert sich an regelmässigen Treffen von Delegierten der jüdischen Gemeinschaften in Polen. Aus Sicht des polnischen Königs haftete diese Versammlung für die von allen Juden an ihn zu entrichtenden Abgaben. Innerjüdisch konnte man an diesen Treffen gemeinsamer Probleme besprechen. Im Vorfeld der Aufteilung Polens zwischen Russland, Preußen und Österreich wurde diese 1764 aufgehoben.
„Auf diese Weise beschloss die Regierung mit Einwilligung aller Gewaltigen und Mitglieder des Sejm in Warschau, auch den Ausgleich (das Abkommen) aufzuheben, den die Vierländersynode hinsichtlich der Kopfsteuer erwirkt hatte, die die jüdische Bevölkerung in jedem Jahre in Höhe von 300 000 polnischen Gulden an den Finanzminister zu entrichten hatte.
Die jüdischen Landesältesten pflegten Abgesandte aller jüdischen Gemeinden in Polen zu berufen. Aus ihrer Mitte wählte man angesehene, gelehrte Männer aus, die alle jüdischen Gemeinden abzuschätzen hatten. Auch pflegten sie Rabbiner, hervorragende Talmudkenner, zu versammeln, damit sie neue Rechtsordnungen im jüdischen Gerichtsverfahren einführten, um nicht, Gott behüte, die nichtjüdischen Gerichte belästigen zu müssen. Was nicht deutlich genug in den Büchern unserer Posskim (Dezisoren, Gesetzesentscheider) erklärt ist, haben die Rabbiner und Talmudgelehrten erläutert.
Sie stellten die Těkanot (Verordnungen) der Vierländersynode gemäß den Gesetzen unserer heiligen Tora zusammen. Diese Verordnungen wurden vom ganzen jüdischen Volke angenommen wie die Tora selbst, und man nannte sie „die Bücher der Länderverordnungen“. Als Kind sah ich schon solche gedruckten Verordnungen. So saßen die Rabbiner und Richter von allen vier Ländern ständig zusammen neben den jüdischen Landesältesten. Mit jedem Rechtsfall, der sich in den polnischen Gemeinden ereignete, pflegte man zu ihnen zu kommen.“
[Julius Höxter: Quellenbuch zur jüdischen Geschichte und Literatur, 4. Teil, ND: Zürich 1983, S. 62-64]
Der jüdische Philosoph und Aufklärer Salomon Maimon (1753-1800) beschreibt aus Distanz die jüdische Gemeinschaft seiner Heimat.
„Die letzten zwei Stände, nämlich der Bauernstand und die Juden, sind die nützlichsten im Lande. Der Bauernstand beschäftigt sich mit Ackerbau, Viehzucht, Bienenzucht usw., kurz, mit allem, was das Land hervorbringt. Die Juden treiben Handel, sind Gewerbetreibende und Handwerker, Bäcker, Brauer, Bier-, Branntwein- und Metschankwirte (eine Art Bier) und dergleichen. Sie sind auch die einzigen Pächter in Städten und Dörfern, die Klostergüter ausgenommen, wo Ihre Hochwürden es für Sünde halten, einen Juden in Nahrung zu setzen und daher ihre Pachten lieber den Bauern überlassen.
Obschon sie dafür büßen müssen, indem die Pachten zugrunde gehen, weil die Bauern nicht das Geschick dazu haben, so ertragen sie doch dies lieber mit christlicher Geduld. (…)
(S. 67) Es gibt vielleicht kein anderes Land, außer Polen, wo Religionsfreiheit und Religionshass so im gleichen Grade anzutreffen wäre. Die Juden genießen da eine völlig freie Ausübung ihrer Religion und alle übrigen bürgerlichen Freiheiten. Sie haben sogar ihre eigene Gerichtsbarkeit. Anderseits aber geht der Religionshass so weit, dass der Name Jude zum Abscheu ist und die Wirkung dieses zu den Zeiten der Barbarei eingewurzelten Abscheus noch zu meinen Zeiten, ungefähr vor dreizehn Jahren, fortdauerte. Dieser anscheinende Widerspruch lässt sich aber sehr gut erklären, wenn man bedenkt, dass die in Polen den Juden zugestandene religiöse und bürgerliche Freiheit nicht der Achtung für die allgemeinen Rechte der Menschheit entspringt.
(S. 68) Auf der anderen Seite sind Religionshass und Verfolgung keineswegs die Wirkungen einer weisen Politik., die dasjenige, was der Moral und dem Wohlstand eines Staates schädlich sein kann, aus dem Weg zu räumen sucht. Beide sind vielmehr die Folgen der in diesem Lande herrschenden politischen Unwissenheit und Trägheit. Da nämlich die Juden bei allen ihren Mängeln dennoch in diesem Lande beinahe die einzigen brauchbaren Menschen sind, so sah sich die polnische Nation gezwungen, ihnen zur Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse alle möglichen Freiheiten zu bewilligen …“
[Julius Höxter: Quellenbuch zur jüdischen Geschichte und Literatur, 4. Teil, ND: Zürich 1983, S. 65-68. (Ursprünglich aus: „Lebensgeschichte, von ihm selbst geschrieben“)]