Uri Aloni wurde 1922 als Hans Eulau in Essen geboren. Er konnte nach Palästina fliehen und besuchte seinen Geburtsort auf Einladung der Stadt Essen. Er berichtete nach 1985 über seine Erlebnisse als Schüler und Jugendlicher. Die Goethe-Schule ist bis heute ein sehr angesehenes städtisches Gymnasium im „guten“ Wohnviertel Bredeney im Süden von Essen.
… „Aber ich muss sagen, am allerschlimmsten wurde es eigentlich, und das weiß ich nicht mehr genau, ob das `35 oder `36, 1936 war, als wir jüdischen Schüler auf die letzte Bank gesetzt wurden. Und zwar in allen Klassen an der Goetheschule, und vielleicht war das in ganz Essen so. An den Gymnasien, an den Oberschulen mussten die jüdischen Schüler die letzte Bank beziehen in der Schule, und was natürlich eine ganz klare Diskriminierung und vor allem Erniedrigung war. Wenn die Lehrer keine Nazis waren, machte das nichts Besonderes aus, aber es gab zu der Zeit auch schon Nazilehrer, und die hatten nie damit gespart zu sagen: Nur die Judenjungs da hinten sollen sich mal wieder anständig benehmen. Oder, was nicht selten vorkam, da die jüdischen Schüler im allgemeinen bessere Schüler waren, auch so ein Nazilehrer mal sagen konnte in der Mathestunde: „Nu, wenn´s keiner mehr weiß, wollen wir mal die Judenjungs fragen“. Ich muss sagen, diese Zeit habe ich wirklich als eine sehr traumatische Erinnerung, behalten, denn es kam alles sehr plötzlich. Ja, und da muss ich noch was etwas aus meiner, aus meinen Schulerlebnissen erzählen, und zwar war das die Einführung des Hitler-Grußes.
Wieder weiß ich nicht mehr genau, ob das `34, `35 oder `36 war, jedenfalls jeder Lehrer, der in die Klasse reinkam, die ganze Klasse musste strammstehen, und dann rief er den Hitlergruß, und alle mussten also die Hand, die rechte Hand heben und laut „Heil Hitler“ schreien. Und wir Judenjungs konnten es nicht über uns bringen, diesen Hitler zu grüßen und noch zu segnen. Und deswegen hatten wir uns erfunden „Drei Liter“ zu schreien. Und bei dem großen Geschrei „Heil Hitler“ fiel dieses „Drei Liter“ überhaupt nicht auf, und wir hatten den kleinen Trost, dass wir Adolf nicht segnen mussten.“
[Archiv Alte Synagoge Essen, BR. 807 Uri Aloni]
Hannah Biberstein stammte aus einer ostjüdischen Familie, die nach Essen zugezogen war. Auch sie berichtete als Gast der Stadt Essen, wie stark der Druck des NS-Regimes sogar nachbarliche Kinderfreundschaften zerstören konnte.
„Meine früheste Erinnerung daran auf Grund meiner Religion anders zu sein, beruht auf einer Erfahrung, welche passierte, als ich vier oder fünf Jahre alt war. Zu dieser Zeit wohnte unsere Familie in einem großen und schönen Haus in einem wohlhabenden Stadtteil von Essen (Ich glaube es war die Schubertstraße). Alle Häuser in dieser Straße, unseres eingeschlossen, waren auf großen Grundstücken gebaut und hatten große Hinterhöfe.
Wenn das Wetter es erlaubte, haben meine Schwester und ich viel Zeit damit verbracht dort zu spielen. Es war einer unserer Lieblingsplätze. Das Nachbarhaus gehörte einer Familie mit einem Sohn, welchen ich Hermann nenne. Er war ungefähr zehn Jahre alt, als dieser Vorfall geschah. Meine Schwester und ich wurden vertraut mit Hermann, als wir alle in unseren jeweiligen Hinterhöfen spielten.
Wir drei genossen die Gesellschaft des jeweils Anderen und wurden gute Freunde. Ich fand es viel interessanter einen zusätzlichen Spielkameraden bei unseren Spielen zu haben.
Denn nur mit der eigenen Schwester zu spielen, kann sehr langweilig werden. Hermann war sehr unternehmungslustig und hat die Idee vorgeschlagen, dass es viel mehr Spaß machen würde, wenn wir in den Zaun, welcher unsere Gärten trennte, eine Öffnung zu sägen, damit wir und frei hin und her bewegen können und unseren Platz zum Spielen verdoppeln könnten. Beide Elternpaare wurden befragt und stimmten der Idee zu. In kürzester Zeit wurde eine Öffnung in den Zaun gemacht.
Meine Schwester, Hermann und ich spielten auf diese Weise über eineinhalb Jahre. Eines Nachmittags, als meine Schwester und ich mit Hermann spielen wollten, mussten wir entsetzt feststellen, dass die Öffnung zwischen den Gärten nicht mehr da war. Der Zaun wurde geschlossen. Wir haben nach Hermann gerufen, aber es kam keine Antwort. Meine Schwester und ich waren überzeugt, dass der Gärtner der Nachbarn es auf sich genommen hatte, den Zaun ohne den Wunsch der Familie zu reparieren. Wir waren sicher, dass alles in ein paar Tagen wieder in Ordnung gebracht werden würde.
Die Wochen vergingen und an dem Zaun hat sich nichts verändert. Unser Durchgang blieb versperrt. Wir versuchten mit Hermann zu sprechen, aber wir konnten ihn nirgendwo finden. In unserer Verzweiflung haben wir uns unseren Eltern anvertraut und sie angefleht, mit Hermanns Eltern zu reden, um wieder zu unserer alten Vereinbarung zurückzukehren.
Denn nur mit der eigenen Schwester zu spielen, kann sehr langweilig werden. Hermann war sehr unternehmungslustig und hat die Idee vorgeschlagen, dass es viel mehr Spaß machen würde, wenn wir in den Zaun, welcher unsere Gärten trennte, eine Öffnung zu sägen, damit wir und frei hin und her bewegen können und unseren Platz zum Spielen verdoppeln könnten. Beide Elternpaare wurden befragt und stimmten der Idee zu.
In kürzester Zeit wurde eine Öffnung in den Zaun gemacht.
Meine Schwester, Hermann und ich spielten auf diese Weise über eineinhalb Jahre. Eines Nachmittags, als meine Schwester und ich mit Hermann spielen wollten, mussten wir entsetzt feststellen, dass die Öffnung zwischen den Gärten nicht mehr da war. Der Zaun wurde geschlossen. Wir haben nach Hermann gerufen, aber es kam keine Antwort. Meine Schwester und ich waren überzeugt, dass der Gärtner der Nachbarn es auf sich genommen hatte, den Zaun ohne den Wunsch der Familie zu reparieren. Wir waren sicher, dass alles in ein paar Tagen wieder in Ordnung gebracht werden würde.
Die Wochen vergingen und an dem Zaun hat sich nichts verändert. Unser Durchgang blieb versperrt. Wir versuchten mit Hermann zu sprechen, aber wir konnten ihn nirgendwo finden. In unserer Verzweiflung haben wir uns unseren Eltern anvertraut und sie angefleht, mit Hermanns Eltern zu reden, um wieder zu unserer alten Vereinbarung zurückzukehren.
Meine Schwester und ich waren sicher, dass es sich um ein Missverständnis handelte, welches bald behoben würde.“
[Alte Synagoge Essen, BR. 723, Hannah Biberstein 14.03.1993 - deutsche Übersetzung -]